Die Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter des Landes Brandenburg (BbgVRV) hat am 16. August 2023 im Rahmen der Evaluation des Ersten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Richtergesetzes (BbgRiG) Stellung genommen:
Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrte Damen und Herren,
namens der Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter des Landes Brandenburg (BbgVRV) bedanke ich mich für die Beteiligung im Rahmen der Evaluation des Ersten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Richtergesetzes (BbgRiG).Zu ausgewählten Vorschriften nehmen wir kurz wie folgt Stellung zu einem Änderungsbedarf:
1) § 3 Abs. 2 BbgRiG (Möglichkeit des Hinausschiebens des Eintritts in den Ruhestand)
Wir befürworten eine Ergänzung der Vorschrift um Regelbeispiele von Fällen, in denen ein dienstliches Interesse als Voraussetzung des Hinausschiebens in Betracht kommt. Dies könnte etwa mit Blick auf absehbar anhaltende Personalengpässe formuliert werden. Dadurch würde die Anwendung der Vorschrift für die Betroffenen nachvollziehbar und würde eine gleichmäßige Handhabung der Anträge (gleichwohl je nach Lage der Umstände) besser gewährleistet.
Einerseits sollte durch das Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand einzelner Richterinnen oder Richter keine Situation geschaffen werden, durch die die Durchlässigkeit (Beförderungsmöglichkeiten, Altersstruktur) und die kontinuierliche Nachwuchsgewinnung erheblich beeinträchtigt werden. Andererseits deutet sich an, dass in den kommenden Jahren aufgrund der anstehenden zahlreichen Pensionierungen in der Justiz nicht nur des Landes Brandenburg und der schwierigen Lage bei der Nachwuchsgewinnung von hinreichend geeigneten Juristinnen und Juristen die Inanspruchnahme des § 3 Abs. 2 BbgRiG ein mögliches Instrument sein wird, um die Leistungsfähigkeit der Justiz im Land mit abzusichern.2) § 9 BbgRig (i.d.F. des 2. ÄndG vom 16.12.2022)
Grundsätzlich sollte mit dieser Vorschrift inzwischen eine auch mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtlich tragfähige Beurteilungsgrundlage geschaffen worden sein.
Da im Blickpunkt der jüngsten Gesetzesänderung der Fokus – auch hinsichtlich der zeitlichen Komponente – im Wesentlichen auf der Absicherung der Beurteilungspraxis lag, regen wir nochmals an, anlässlich der Evaluation eine weitergehende Änderung dahin vorzunehmen, dass auch der Rhythmus der Regelbeurteilung auf drei Jahre gesetzlich festgelegt wird.
§ 9 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs sollte wie folgt gefasst werden:
„Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind regelmäßig, mindestens jedoch alle drei Jahre, zu festen Stichtagen zu beurteilen.”
Eine solche Regelung hatten wir bereits in unserer Stellungnahme vom 14. Februar 2022 zum (späteren) 2. Änderungsgesetz zum BbgRig vom 16. Dezember 2022 und in unserem Anschreiben zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss vom 5. Oktober 2022 sowie in der Anhörung selbst befürwortet.
In der Stellungnahme vom 14. Februar 2022 hatten wir insbesondere ausgeführt:
„Mit dieser Formulierung wird durch den Gesetzgeber selbst ein Beurteilungssystem durch Regelbeurteilungen zu festen Stichtagen in einem Rhythmus von maximal drei Jahren vorgegeben. Dies hat den entscheidenden Vorteil, dass die nach dem derzeit praktizierten System übermäßig und für Bewerbungsverfahren nahezu als Regelfall erfolgenden Anlassbeurteilungen auf ein Minimum zurückgeführt werden können. Zugleich wird damit der Wertungswiderspruch aufgelöst, der sich aus dem sachlich nicht begründbar langen Beurteilungszeitraum von fünf Jahren einerseits und der gesetzlichen Vorgabe andererseits ergibt, dass Regelbeurteilungen für Richterinnen und Richter zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung höchstens drei Jahre zurückliegen dürfen (siehe § 10 Abs. 1 BbgRiG i.V.m. § 20 Abs. 1 LBG).
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann (bzw. muss) auf Beurteilungen aus Anlass von Bewerbungen in aller Regel verzichtet werden, wenn aktuelle, d. h. hinsichtlich ihres Stichtages nicht länger als drei Jahre zurückliegende Regelbeurteilungen vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6.19 – juris Rn. 121; Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 57 ff.). Die höchstmögliche Vergleichbarkeit bietet ein Regelbeurteilungssystem mit festen Stichtagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2012 – 2 A 2.10 – juris Rn. 10).Bei einer Vorgabe von Regelbeurteilungen mit dreijährigem Rhythmus zu festen Stichtagen sind daher in aller Regel in den Beförderungsverfahren keine Anlassbeurteilungen mehr erforderlich. Anderes gilt nur, wenn für eine Bewerberin oder einen Bewerber aus-nahmsweise – etwa aufgrund eines altersbedingten Herausfallens aus der Regelbeurteilungspflicht oder aufgrund eines erst nach dem letzten Regelbeurteilungsstichtag erfolgten Eintritts in den hiesigen Richterdienst – keine aktuelle, d.h. nicht länger als drei Jahre zurückliegende Regelbeurteilung vorliegt. Nur für die davon betroffene Bewerberin oder den betroffenen Bewerber ist nach der genannten neueren Rechtsprechung aufgrund von Bewerbungen eine Anlassbeurteilung zu erstellen, nicht auch für davon nicht betroffene Mitbewerber. Lediglich das Erstellen von vorausschauenden Eignungsbewer-tungen könnte, wie der Sache nach in § 9 Abs. 2 Satz 3 des Entwurfs vorgesehen, sachgerecht sein.
Die vorgeschlagene Fassung lehnt sich an § 21 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes an.“
Auch wenn durch die aufgrund § 9 Abs. 4 BbgRiG erlassene Vorschrift des § 2 Abs. 8 der Brandenburgischen Beurteilungsverordnung für die Richter- und Staatsanwaltschaft (BbgRiSt-ABeurtV) vom 25. April 2023 die früher ausufernde Praxis der Erstellung von Anlassbeurteilungen im Fall von Bewerbungen erheblich eingeschränkt wurde, wäre es weiterhin zur Stärkung und der inneren Kohärenz des Regelbeurteilungssystems vorzugswürdig, bereits im Gesetz den dreijährigen Regelbeurteilungszeitraum festzulegen.
Soweit damit ein erhöhter Aufwand für die Beurteiler einhergeht, ist dem durch entsprechende Zuweisung von Personalarbeitskraft an die betreffenden Gerichte und Staatsanwaltschaften Rechnung zu tragen. Gleichwohl dürfte sich der personalwirtschaftliche Mehraufwand in Grenzen halten.
3) § 22a BbgRiG Schaffung einer Auswahlmöglichkeit für richterliche Spitzenpositionen im Wahlverfahren im Richterwahlausschuss
Aus grundsätzlichen Erwägungen stehen wir der Regelung wie schon im damaligen Gesetzgebungsverfahren kritisch gegenüber. Ausgehend von der Vorgabe der Landesverfassung, dass der Richterwahlausschuss zu zwei Dritteln durch Abgeordnete des Landtages überwiegend politisch besetzt ist, ist die Gefahr nicht zu ignorieren, dass dies im Rahmen der Regelung von § 22a BbgRiG, die eine echte Wahl durch den Ausschuss und die anschließende Zustimmung durch das für Justiz zuständige Regierungsmitglied vorsieht, zu einer politischen Richterwahl oder aber einem politischen Veto durch das zuständige Regierungsmitglied führt, ohne (objektiv) den Grundsatz der Bestenauslese zu beachten.
Die Kontrollmechanismen diesbezüglich sind unzulänglich und zum Teil abhängig davon, dass ein unterlegener Bewerber gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht. Im Fall, dass ein ministerielles Veto nach § 22a Abs. 3 BbgRiG ausgeübt wird, dürfte der oder die Betroffene kaum um unmittelbaren Rechtsschutz nachsuchen können, weil es einen Anspruch auf eine Wahl auch für den vermeintlich bestgeeigneten Bewerber nicht gibt.
Soweit bei der Einführung in der Gesetzesbegründung (LT-Ds 6/10010, Begründung S. 4 ff. unter II.5.) demgegenüber entscheidend auf die Verantwortung und das Bewusstsein aller am Verfahren Beteiligten hinsichtlich ihrer Bindung an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bestenauswahl abgestellt wurde, erscheint dies – gelinde formuliert – naiv und nicht überzeugend. Die bereits in benachbarten Mitgliedsländern der Europäischen Union zu beobachtenden Eingriffe in die Justiz und die richterliche Unabhängigkeit, wie sie inzwischen in Bezug auf Polen – mit bislang wenig durchschlagendem Erfolg – durch den Europäischen Gerichtshof mehrfach festgestellt worden sind, oder politische Eingriffe in andere bis dahin unabhängige Institutionen eines demokratischen Rechtsstaats (etwa in Ungarn Medien, Hochschulwesen und Kultureinrichtungen) nicht zuletzt durch populistisch agierende Parteien oder durch von solchen gestützte Regierungen sollten Anlass genug sein, es nicht als gesichert anzunehmen, dass sich – je nach demokratisch gewählter Zusammensetzung des Richterwahlausschusses in Brandenburg – die Mitglieder in Zukunft gleichermaßen an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bestenauslese gebunden fühlen.
Die Bedenken richten sich insoweit weniger gegen die bisherige Handhabung der Regelung, zu denen uns der genaue Einblick fehlt und die wohl auch noch nicht zum Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung in einem Konkurrentenstreit gemacht wurde. Vielmehr steht die Re-gelung in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Bestenauslese und bietet ohne hinreichenden Grund die Möglichkeit einer unangemessenen und widerrechtlichen politischen Einflussnahme gerade bei der Besetzung von gerichtlichen Spitzenposten. Dass sich die Regelung im Vergleich zu der einheitlichen vorherigen Regelung (§ 22 BbgRiG) in besonderer Weise bewährt hätte, dürfte vor dem Hintergrund der wohl bislang wenigen getroffenen Ent-scheidungen aufgrund dieser Regelung kaum belegbar sein. Gegen die Regelung spricht zudem, dass sie ein weiterer Unterschied zu den Regelungen im Berliner Richtergesetz ist und etwa für die gemeinsamen Fachobergerichte ohnehin die Regelungen des Staatsvertrags hierzu gelten. Die stärkere Wiederangleichung der Richtergesetze beider Länder sollte aber ebenfalls ein Ziel bleiben.
Soweit an der Regelung dennoch festgehalten wird, sollte eine erneute Evaluation in vier Jahren im BbgRiG festgeschrieben werden, weil der vergangene Zeitraum und die wohl geringe Zahl der Fälle kaum ausreichen dürften, um die Regelung ohne Evaluation beizubehalten.
4) § 41 Mitbestimmung der Richterräte
Auch wenn wir für eine starke Mitbestimmung der Richterräte hinsichtlich der Maßnahmen sind, die das konkrete Arbeits- und Sozialumfeld betreffen und der Auffassung sind, dass diese das gewünschte und im Sinne der Arbeitsprozesse effektive konstruktive Zusammenwirken der Gerichtsleitungen bzw. des Ministeriums und der Richterschaft befördern, spricht aus unserer Sicht Überwiegendes für die grundsätzliche Rückkehr zum alten Regelungssystem der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Räte nach Katalogtatbeständen.
Dabei sollte der vormalige Katalog hinsichtlich eines sich rasant ändernden Arbeitsumfeldes (Einführung elektronische Akte und diesbezüglich mobiles Arbeiten, Videoverhandlung) auf mögliche entsprechende Anpassungen sinnvollerweise überarbeitet werden.
Die aktuelle weite Regelung wurde nach unseren Erkenntnissen zwar weitgehend konstruktiv und pragmatisch gehandhabt. Jedoch dürfte es für die Richterräte in einem Streitfall eher fö-derlich sein, wenn die mitbestimmungsfähigen und –bedürftigen Angelegenheiten durch einen Katalog näher umgrenzt sind.
Das gilt nicht zuletzt mit Blick darauf, dass die aktuelle Regelung, wie schon im Gesetzgebungsverfahren angemerkt wurde, insbesondere hinsichtlich innerdienstlicher Maßnahmen, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, wohl nicht im Einklang steht mit der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung, weil sie derzeit im Streitfall eine bindende Entscheidung der Einigungsstelle (§ 49 Abs. 3 BbgRiG) – im Gegensatz der früher nur vorgesehene Empfehlung personeller Maßnahmen (§ 49 Abs. 3 BbgRig a.F.) – vorsieht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 -, BVerfGE 93, 37, zit. n. juris, Rn. 148).
Im Übrigen bedeutet die aktuelle Regelung auch keinen sinnvollen Weg zu einer Selbstverwaltung der Justiz. Vielmehr führte sie – bei weitester Auslegung – dazu, dass eine Vielzahl auch weniger bedeutender Entscheidungen der Gerichtsleitungen von den Räten mitbestimmt, also verantwortlich mit wahrgenommen werden müssten. Hierfür erscheinen die Richterräte weder personell hinreichend ausgestattet noch erscheinen solche „Doppelstrukturen“ per se sinnvoll. Die Funktion der Räte sollte es sein, in den die Richterschaft betreffenden Belangen deren Interessen wahrzunehmen und in zumeist generellen oder wesentlichen Angelegenheiten auch mitzubestimmen (vorbehaltlich des Stufenverfahrens mit Einigungsstelle). Wie oben erwähnt sollte dabei eine Anpassung und ggf. Ausweitung der früher geltenden Mitbestimmungstatbestände auch mit Blick auf die Bestimmungen in anderen Bundesländern und nicht zuletzt in Berlin sorgfältig erwogen und geprüft werden.
Im Rahmen einer etwaig geplanten entsprechenden Überarbeitung dieser gesetzlichen Bestimmung(en) sind wir nicht nur dazu bereit, sondern auch interessiert daran, unsere Perspektive und die Erfahrungen unserer richterlichen Gremienvertreter konstruktiv einzubringen.
5) §§ 64 ff. Richterdienstgerichte
Auch wenn wir uns seinerzeit gegen die Rückübertragung der Zuordnung der Richterdienstgerichte zur ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgesprochen hatten, sehen wir, nachdem der Gesetzgeber anders entschieden hat, keinen Anlass, diese Frage erneut aufzuwerfen, nicht zuletzt, weil eine Veränderung der Zuständigkeiten mit erheblichem Aufwand verbunden ist.
Nach unseren Erkenntnissen hat es sich bewährt, dass auf der Ebene des Dienstgerichtes (§§ 65, 67 Abs. 1 BbgRiG) auf die Mitwirkung eines ehrenamtlichen Richters bzw. einer ehrenamtlichen Richterin aus der Rechtsanwaltschaft als ständiges beisitzendes Mitglied verzichtet wurde.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Martin Schröder
Hier können Sie die Stellungnahme (pdf-Dokument) herunterladen: Stellungnahme vom 16. August 2023